Aus dem Stadtrat vom 24.6.: Transparente Demokratie

Transparente Demokratie im Chemnitzer Stadtrat ist eine feine Sache. Vorausgesetzt: Alle machen mit!

Und da beginnt schon das Problem.

Sie begründen Ihren Antrag zum einen damit, die seit geraumer Zeit die als Livestream übertragenen Sitzungen des Stadtrates nicht nur bis zur nächsten Sitzung live zur Verfügung zu stellen, sondern dauerhaft. Und dies deshalb, weil es von öffentlichem Interesse sei, die gehaltenen, manchmal auch ertragenen Redebeiträge auch nach längerer Zeit noch abrufen zu können.

Na, schick!
Wenn ich mich nicht irre, hat Ihr Fraktionsmitglied, der Herr Stadtrat Lars Franke, zum Beginn der Wahlperiode keine Zustimmung erteilt, dass dann, wenn er redet, dies im Livestream übertragen wird. In der Praxis heißt das, wenn die geneigte Chemnitzerin oder der geneigte Chemnitzer oder Menschen aus dem Umland die Stadtratssitzung im Livestream verfolgen und der Kollege Lars Franke ans Pult tritt, wird der Bildschirm weiß oder schwarz. Die teilhabende Bürgerin oder der teilhabende Bürger wird dann je nach Verfasstheit den Stördienst anrufen oder meinen, es gäbe plötzlich eine Pause coronaerzwungen oder was auch immer.

Also werden Sie sich erst einmal untereinander einig, wie Sie es mit der Transparenz in der Stadtratsarbeit halten wollen, meine Damen und Herren von der AfD.

Wie von der Verwaltung in der leider erst heute Vormittag eingegangenen Stellungnahme zu Ihrem Antrag geäußerten durchgreifenden Datenschutz- und urheberrechtlichen Bedenken kommen hinzu.

Was dann den zweiten Beschlusspunkt angeht, mit welchem Sie begehren, das Abstimmungsverhalten der Fraktionen zu den Beschlussgegenständen so zu dokumentieren, dass je nach Fraktion die Zahl der Ja- und Nein-Stimmen bzw. die Stimmenthaltungen erfasst werden und das Abstimmungsverhalten im Ratsinformationssystem und den Niederschriften entsprechend dargestellt wird und dauerhaft nachlesbar ist, ist dies mal abgesehen davon, dass Ihrem Begehren die Regelung nach § 40 Abs. 1 der Sächsischen Gemeindeordnung entgegensteht, worauf die Verwaltung in ihrer heute eingegangenen Stellungnahme zurecht verweist ein Stück Offenbarung Ihres Rechts- und Demokratieverständnisses.

Gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz muss das Volk in den Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht.

Das will auch Art. 86 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung, aber ohne, dass deshalb Stadt- und Gemeinderäte, oder etwa auch Landkreistage Parlamente im verfassungsrechtlichen Sinne werden, mit regierungstragenden Fraktionen auf der einen, Oppositionsfraktion auf der anderen Seite.

Der Stadt- oder Gemeinderat bzw. Kreistag ist vielmehr Bürgervertretung und das Hauptorgan der Gemeinde. Und jeder Stadträtin, jeder Stadtrat hat zu allererst für die Gemeinde nach dem Gesetz zu wirken und seine Arbeit nach der am Gemeinwohl orientierten freien Überzeugung zu verrichten.

Dass es in Sachsen nach der Neugründung des Freistaates vor nunmehr knapp 30 Jahren verfassungsmäßig genau so gedacht war, ist dadurch belegt, dass in der ersten bzw. ursprünglichen Sächsischen Gemeindeordnung vom 21. April 1993 die Bildung von Fraktionen in den gemeindlichen Selbstverwaltungskörperschaften expressis verbis überhaupt nicht vorgesehen war. Oder anders ausgedrückt: Der Begriff Fraktion kam in der Ausgangsfassung der Sächsischen Gemeindeordnung überhaupt nicht vor.

Der Paragraf 35 a mit einer gleichlautenden Bestimmung für die Landkreise wurde erst durch ein Gesetz vom 11. Mai 2005 (SächsGVBl S. 155) in die Sächsische Gemeindeordnung eingefügt. Erst von da an werden die Fraktionen im sächsischen Kommunalverfassungsrecht überhaupt ausdrücklich erwähnt, wenngleich das räume ich gern ein in Literatur und Rechtsprechung ihre Zulässigkeit schon vorher nicht wirklich zweifelhaft war. Mit § 35 a wurde letztlich nur der faktischen Verparlamentarisierung der kommunalen Vertretungskörperschaften Rechnung getragen, wie sie sich aus unserer Sicht fragwürdigermaßen in den 80-er und 90-er Jahren in der alten Bundesrepublik herausgebildet hatte.

Auch Sachsen beschritt dann den Weg, zumindest rahmenartige Vorschriften betreffs Fraktionen in die Gemeindeordnung aufzunehmen. Sie haben inzwischen zweifellos ihre Daseinsberechtigung. Das ändert aber nach unserer Überzeugung nichts daran, dass vorrangig § 35 Abs. 3 Satz 1 gilt, der da lautet:

Die Gemeinderäte üben ihr Mandat nach dem Gesetz nach ihrer freien, dem Gemeinwohl verpflichteten Überzeugung aus. An Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden.

Wenn Sie jetzt anstreben, dass über den Fall der namentlichen Abstimmung hinaus, die zu beantragen Ihnen nach der Geschäftsordnung immer unbenommen ist, vor allem das Abstimmungsverhalten der Fraktionen bzw. Fraktionsgemeinschaften ins Blickfeld der Bevölkerung gerückt werden soll, ist dies in gewisser Weise eine weitere Abkehr von der eigentlichen Stellung und den Aufgaben des Stadt- bzw. des Gemeinderates und ein Ausdruck Ihrer populistischen Verfasstheit.
Es geht nicht darum, was der Stadtrat in der Konsequenz mit den erforderlichen Mehrheiten inhaltlich beschließt, sondern darum, dass Sie den Fraktionen, die Sie als politischen Gegner ausgemacht haben, im öffentlichen Diskurs ans Zeuge flicken können.

Nach unserer Überzeugung verfolgen die Chemnitzerinnen und Chemnitzer, jedenfalls die, die das tun, die Stadtratssitzungen und deren Beschlüsse aber nicht vordergründig unter dem Aspekt, welche Partei bzw. Fraktion wie votiert hat, sondern was in der Sache zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger herauskommt.

Fazit: Sie verkennen einfach den Charakter kommunaler Vertretungskörperschaften, deren Aufgabe und verfassungsrechtliche Stellung und drehen statt dessen mal wieder das Schwungrad Ihrer Selbstprofilierung.

Dass wir uns daran beteiligen, können Sie aber nun wirklich nicht erwarten.