Aus dem Stadtrat vom 16.03.2022: Auswirkungen von § 20a Infektionsschutzgesetz darstellen

Es gilt das gesprochene Wort

Es ist erstmal kein Fehler, wenn sich der Stadtrat just an dem Tag, an welchem der durch das Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID19-Pandemie vom 10.12.2021 in der in das IfSG eingefügte § 20a, überschrieben mit Immunitätsnachweis gegen COVID19 in Kraft tritt, mit dieser Materie beschäftigt.

Die Befassung mit diesem § 20a als einer Norm, die es schon gesetzestechnisch außerordentlich in sich hat und selbst den Juristen zum dreimaligen Durchlesen zwingt, bevor er es schnallt, ist schon aus Referenz gegenüber dieser großen Beschäftigungsgruppe im Gesundheitswesen, die die Coronapandemie bislang in vorderster Front gewuppt hat und nun wieder aus Solidaritätsgründen in Vorleistung gehen soll, richtig. Zum anderen, weil er er § 20a praktisch vom heutigen Tage an sämtliche im Stadtgebiet von Chemnitz ansässigen Krankenhäuser, Kliniken, ambulante Einrichtungen der verschiedensten Art, alle Arztpraxen, ärztliche Behandlungszentren bis hin zu Begutachtungs- und Prüfdiensten etc. in die Pflicht nimmt, beschäftigtengenau im Bilde zu sein, wer auf Grund welchen Impfnachweises, welchen Genesenennachweises oder welchen ärztliche Zeugnisses darüber, dass die bzw. der Betreffende auf Grund medizinischer Kontraindikation nicht gegen den Coronavirus SARSCovid2 geimpft werden kann, noch mit an Bord nimmt man Abs. 3 ab 16. März an Bord kommt.

Dem schließt sich an, dass der § 20a mit seinem in seinen Absätzen 2 und 3 beinhalteten Verpflichtung der jeweiligen Einrichtung bzw. des jeweiligen Unternehmens, immer wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, unverzüglich das Gesundheitsamt zu benachrichtigen und diesem die entsprechenden personenbezogenen Daten übermitteln, quasi einen neuen Aufgabenkanon für die Gesundheitsämter eröffnet, dessen Bewältigung die in diesem Bereich der Verwaltung Beschäftigten in die nächste Arbeitswelle stürzen dürfte.

Hinzu kommt, dass sich nach Abs. 4 das Nachweisprozedere noch wiederholt, weil jede und jeder Beschäftigte in den einschlägigen Einrichtungen und Unternehmen mit Nachweispflicht seiner Leitung fristgebunden kundtun muss, wenn ein ursprünglich vorhandener Impf- bzw. Genesenennachweis aus Zeitgründen ausgelaufen ist, respektive den Erneuerungsnachweis vorlegen muss und die Einrichtungen und Unternehmen wiederum, wenn dies nicht geschieht, die betreffenden Personen erneut dem Gesundheitsamt melden müssen.

Wir müssen also über die Auswirkungen dieser Gesetzesregelung reden, weil allein das schon eine Herkulesaufgabe für den sozialen Bereich in der Verwaltung wird! Da ist es auch unschädlich, dass der Antrag, der die Befassung auslöst, von Ihrer Fraktion kommt, meine Herren von der AfD-Fraktion.

Womit wir nicht überein gehen können, ist in weiten Teilen der Regelungsinhalt, den Sie uns hier vorlegen und der Alarmismus, den Ihr Antrag bzw. seine Begründung verbreitet.

Gleich eingangs schwadronieren Sie, dass sich Chemnitz in einer sehr kritischen Lage befindet, ohne selbige Fakten gestützt genau zu beschreiben. Es folgt die Behauptung, dass es keinerlei Konzept gibt, wie die Versorgung der Patientinnen und Patienten, der Pflegebedürftigen gewährleistet werden könne und die Prophezeihung, dass mit schwersten Schäden der Versorgungslandschaft für eine Vielzahl der Bürgerinnen und Bürger zu rechnen sei. Sodann erwecken Sie den Eindruck, dass die Aussprache behördlicher Betretens- und Beschäftigungsverbote Normbetroffenen quasi demnächst ins Haus stehe, sodass allenthalben enormer Personalmangel und immenser Ausfall an Leistungsangeboten für betroffene Patientinnen und Patienten, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung drohe.

Richtig ist, dass das nichts ist, was wir im Vorbeigehen machen! Laut Antwort der Bürgermeisterin Ruscheinsky auf die Informationsanfrage unserer und der Fraktionsgemeinschaft Bündnis 90/Die Grünen vom 22.02.2022 ist davon auszugehen, dass in Chemnitz ca. 15.000 Beschäftigte der relevanten Einrichtungen von der Impfpflicht betroffen sind. Nach Schätzungen des Sozialministeriums, so Bürgermeisterin Ruscheinsky, wird von 30 Prozent Ungeimpften ausgegangen und angenommen, dass die Impfquote im Plegebereich im Bereich der Normalbevölkerung liegt.

Mit gleichem Schreiben vom 22. Februar erklärt Bürgermeisterin Ruscheinsky, aber auch, dass die Stadtverwaltung, namentlich das Gesundheitsamt, beim Herangehen als Grundsatz für das gesamte Handeln die Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt stellt und dass diesbezüglich zur Handhabung der verfügbaren Ermessensspielräume ein Konzept erarbeitet ist, ebenso ein Konzept, dass das Gesundheitsamt personell und logistisch in die Lage versetzt, die bundesgesetzlichen Anforderungen aus dem § 20a IfSG zu gewährleisten.

Was Sie nun mit dem Antrag wollen, ist zunächst laut Ziff. 1, dass der Oberbürgermeister beauftragt werden soll, den Stadtrat unverzüglich und kontinuierlich über die vorliegende Datenlage zum Impfstatus beschäftigter Personen in den nach § 20 a IfSG Abs. 1 betroffenen Einrichtungen und Unternehmen der Stadt Chemnitz zu informieren. Aber sorry: Wieso und wozu muss denn jedes Mitglied des Stadtrates über den Impfstatus von Personen, die in diesen Bereichen arbeiten im Bilde sein? Dass der Sozialausschuss da angeschlossen sein muss, darüber streiten wir nicht, wenngleich es auch hier nicht um das Vorlegen der gesamten Datenlage gehen kann.

Zu Ziff. 2 wollen Sie den Oberbürgermeister beauftragen, unverzüglich und kontinuierlich den Stadtrat zu informieren, wie sich die konkrete Versorgungssituation in den besagten Einrichtungen nach dem 15. März darstellt, respektive wie diese gesichert ist oder gesichert werden kann. Nun aber mal sachte. Es gibt ja inzwischen, wie zumindest dem Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Herrn MdL Dr. Dringenberg, bestens bekannt sein dürfte, vom Staatsministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt erarbeitete so genannte ermessenslenkende Vollzugshinweise zur Umsetzung des § 20a IfSG.

Selbige besagen zunächst schon mal, dass in den Fällen, wo der Nachweis nach Abs. 1 des § 20a IfSG von dem betreffenden Beschäftigten noch nicht bis zum Ablauf des 15.03.2022 vorgelegt wurde oder Zweifel an der Echtheit des Zeugnisses bestehen, die Einrichtung selbst gegenüber dem sogenannten Bestandspersonal erstmal gar nichts machen muss, also nicht tätig werden muss, sondern lediglich die Personendaten der Betreffenden an das Gesundheitsamt weiterzuleiten hat, welches dann nach Maßgabe des § 20 a Abs. 5 IfSG vorzugehen hat.

Das Gesundheitsamt fordert dann erstmal seinerseits nach Eintreffen der entsprechenden Unterrichtung betroffene Personen auf, den Nachweis vorzulegen, wobei im  Zuge dieser Aufforderung zur Nachweiserbringung vorsorglich auf die denkbare Verhängung eines Bußgeldes hinzuweisen ist, sollte der Nachweis nicht erbracht werden. Zur Nachweisvorlage haben die betreffenden Personen in diesen Fällen wieder eine Frist von vier Wochen.

ann kann das Gesundheitsamt als nächstes einer Person, die trotz Aufforderung durch das Gesundheitsamt keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt, auch einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, tatsächlich untersagen, dass sie die Einrichtung bzw. das Unternehmen betritt bzw. in diesem Unternehmen weiter tätig wird. Dagegen kann die bzw. der Betroffene Widerspruch einlegen bzw. Anfechtungsklage erheben, die allerdings keine aufschiebende Wirkung haben.

An dieser Stelle regeln die ermessenslenkenden Vollzugshinweise aber auch, dass der Ermessensspielraum in dieser Frage so zu nutzen ist, dass die Versorgungssicherheit der betreffenden Einrichtung bzw. des betreffenden Unternehmens nicht gefährdet wird. Auch ist immer dann, wenn die bzw. der Betreffende auf Grund fehlenden ordnungsgemäßem Impfnachweises die Tätigkeit im  Homeoffice ausüben kann, nicht ein Tätigkeitsverbot sondern allenfalls ein Betretensverbot auszusprechen.

Wenn also beginnend in den letzten Tagen zahlreiche Medien die Auffassung verbreitet haben, dass es zur Anordnung tatsächlicher Tätigkeits- und Betretensverbote nicht vor dem Sommer 2022 kommen wird, entspricht dies der Realität.

Was aber soll dann die nach Ziff. 2. dem Bürgermeister aufzuerlegende kontinuierliche Informationspflicht des Oberbürgermeisters gegenüber dem Stadtrat?

Um das nochmals festzuhalten: Es besteht nach § 20a Abs. 2 IfSG keine Pflicht der Einrichtung bzw. des Unternehmens, der betreffenden Person sofort Hausverbot zu erteilen.

Vielmehr muss zunächst das Gesundheitsamt nach Maßgabe des § 20a Abs. 5 IfSG aktiv werden. Personen, welche bis zum Ablauf des 15.03.2022 keinen vollständigen Impfschutz, Genesenennachweis oder keine Kontraindikation vorlegen, dürfen in den Einrichtungen vorerst weiter beschäftigt werden.

Erst die Nichtvorlage der Nachweise der betreffenden Person beim Gesundheitsamt ist gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 7 h IfSG eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Bußgeld bis 2.500 EUR belegt werden. Das Gesundheitsamt kann dann auch einer Person, die trotz der Aufforderung keinen Nachweis innerhalb der angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen  Untersuchung nicht Folge leistet, ein Betretens- bzw. Tätigkeitsverbot auferlegen.

Aber auch da sagen die Vollzugshinweise der Sächsischen Staatsregierung, dass dieses Betretens- bzw. Tätigkeitsverbot risikoadaptiert und der Versorgungslage entsprechend vorzunehmen ist.

Im Ermessen des Gesundheitsamtes liegt es daher zu prüfen, welches Risiko für vulnerable Personen bei einer weiteren Tätigkeit bestehen würde und ob Hinweise auf wesentliche Beeinträchtigungen der Versorgung der Patienten/Pflegebedürftigen/zu Betreuenden etc. als Folge der Umsetzung des Verbots vorliegen. Dabei wird neben der betroffenen Person auch die Einrichtung bzw. das Unternehmen angehört.

Es ist also mithin alles durch die Ebene, die auch zuständig ist, geregelt.

Wenn Sie dann, was gar nicht geht da dürften wir uns, Herr Kollege Dr. Dringenberg, aus rechtlicher Sicht einig sein ‑dem Oberbürgermeister in Ziff. 3 Ihres Antrages durch Stadtratsbeschluss abverlangen wollen, dass er keine Betreuungs- und Tätigkeitsverbote für nichtgeimpfte bzw. nichtgenesene Beschäftigte allein auf Grund des Impfstatus ausspricht, ist dies doppelt absurd und im Übrigen rechtswidrig. Zum einen ist der Oberbürgermeister schon regelmäßig nicht die Person, die für die Verhängung der Betretens- und Tätigkeitsverbote in Frage kommt.

Wenn Sie mit der Person des Oberbürgermeisters alle in der Verwaltung Handlungsverpflichteten meinen, dann ist Ihre Forderung schlicht gesetzes- bzw. verfassungswidrig.

Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist Kernstück des Rechtsstaatsprinzips. Alle Gewalten, mithin auch die Kommunalverwaltung sind verpflichtet, von der jeweils höheren parlamentarischen Ebene beschlossene Gesetze zu akzeptieren und auszuführen.

Es kann Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege Dringenberg, auch nicht entgangen sein, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss vom 10.02.2022, 1 BvR 2649/21, mehrere Eilanträge Betroffener, die eine Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht forderten, abgelehnt hat. Dies zunächst mit dem Orientierungssatz, dass die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht in § 20a IfSG als solche unter Berücksichtigung der im Verfahren eingeholten Stellungnahmen, vor allem der sachkundigen Dritten, im Zeitpunkt der Entscheidung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden nicht für offensichtlich unbegründet erachtet hat. Auch hier nicht, weil es generell verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht in materiell-rechtlicher Hinsicht sah, sondern, weil die verwendeten Regelungstechniken gegen das Grundgesetz verstoßen könnten. (Konkret bemängelt der Senat bei Verweisungen im Gesetz auf die Vorgaben des RKI und des Paul-Ehrlich-Instituts zur Bestimmung des Genesenen- oder Impfstatus. Solche dynamischen Verweisungen könnten ggf. nicht mehr von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt oder generell unzulässig sein.)

Die Verfassungslage ist also zugegebenermaßen spannend und damit die Gesetzlage nicht sonderlich stabil.

Es macht aber in einer derartigen Situation, wo eben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den eingereichten Verfassungsbeschwerden in der Hauptsache noch aussteht, überhaupt keinen Sinn, den Oberbürgermeister zu beauftragen, den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen aufzufordern, auf allen Ebenen gegen den § 20a IfSG ins Feld zu ziehen, wie mit dem Antrag zu 4. gefordert.

Summa summarum: Die Sache ist umstritten und spannend. Wir verzeichnen in der Bundesrepublik allenthalben einen holprigen Weg zur Impfpflicht, die angesichts massenhafter Durchbrüche von Omikron-Infektionen bei auch vollständig Geimpften nicht weniger strittig wird, weil eben das Solidaritätsargument nicht mehr so recht überzeugt.

Das aber, was Sie beschlossen haben wollen, ist nicht sachgerecht, nicht hilfreich und nicht zielführend. Was nicht heißt, dass wir als Stadtrat den Bürgermeister nicht bitten sollten, über die fortschreitenden Erfahrungen und Erkenntnisse der Verwaltung bei der Umsetzung des § 20a IfSG in geeigneter Weise, an Schnittstellen auch im Stadtrat bzw. im Sozialausschuss zu unterrichten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!