Aus dem Stadtrat vom 6. April: Unterkunfts- und Heizungskostenrichtlinie der Stadt Chemnitz nach den Sozialgesetzbüchern II und XII ab dem 01.05.2022
Zum Wesen der Marktwirtschaft gehört, dass sie Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen an den Rand der Gesellschaft drängt, diese dann trotzdem finanziell auffängt.
Eine der Lösungen sind die Erstattungen der Kosten für die Unterkunft, kurz KdU.
Auch die Stadt Chemnitz legt alle 2 Jahre dem Stadtrat ein sogenanntes schlüssiges Konzept vor, in dem jeweils für 2 Jahre die Rahmendaten für die KdU rechtssicher festgeschrieben werden. Die Regelungen konnten auch fast immer für 2 Jahre festgeschrieben werden, da es in Chemnitz kaum größere Preiserhöhungen für den Empfängerkreis der Kosten der Unterkunft gab; es gab und gibt immer noch ausreichend bezahlbaren Wohnraum und die Kosten für Heizung, aber auch die Abfallgebühren, waren in den letzten Jahren nahezu stabil – zumindest so, dass die KdU-Richtlinie nie innerhalb der Geltungsdauer angepasst werden musste.
Nun legt die Verwaltung. konkret das Amt was für Soziales zuständig ist, eine neue Richtlinie für den Zeitraum bis 30. April 2024 vor. Sozial ist die neue Richtlinie nicht, obwohl es der Auftrag des zuständigen Amtes ist, die rund 10.000 Bedarfsgemeinschaften in der Stadt mehr als das Gebot der „Wirtschaftlichkeit“ für die Stadt im Blick zu haben.
Die neue Richtlinie ist im Punkt „Mieten“ akzeptabel; der Wohnungsmarkt in Chemnitz ist gut aufgestellt und bietet immer noch viele KdU-fähige Wohnungen und u.a. bei der GGG wird Wert daraufgelegt, dass bei Sanierungen auch KdU-fähige Wohnungen beibehalten werden.
Der 2. Teil der KdU-Richtlinie sind die Heizkosten, die nicht Teil des schlüssigen Konzeptes sind und die vom Sozialamt als „freiwillig“ bezeichnet werden.
Nun hat das Beratungsunternehmen Koppmann aus Hamburg für die uns vorliegende Richtlinie festgestellt, dass sich die Heizkosten gegenüber der Richtlinie von 2020 nicht verändert haben und sogar bei 2- und 3‑Personenhaushalten ein leichter Preisrückgang zu verzeichnen war.
Bei einem Einpersonenhaushalt mit 48qm-Wohnfläche betrug der Heizkostenzuschuss 2020 bis 2022 1,34 €/qm; für den Zeitraum bis 2024 sollte er 1,34 €/qm betragen. Kein Witz; in einer Zeit, in der die Energiekosten explodieren, in der die Bundesregierung schon das 2. Energiekostenabfederungspaket beschlossen hat, legt das Beratungsunternehmen der Stadt eine Richtlinie vor, die für Menschen am unteren Rand der Existenzsicherung die aktuelle Situation nicht berücksichtigt.
Weil, weil doch schon immer der Durchschnitt der Heizkosten für die zwei zurückliegenden Jahre berechnet wurde – als für 2022 der Durchschnitt aus 2020 bis zum 30.6.2021.
Das im 2. Halbjahr 2021 die Preise explodierten, das ist Pech. Für die Bedarfsgemeinschaften.
2021 stiegen lt. Bundesheizspiegel die Kosten für Fernwärme um 9% aufs Jahr gerechnet. Also im 2. Halbjahr um etwa 18 %. Von den Entwicklungen in 2022 bisher ganz zu schweigen – und zwar vor dem Krieg Putins gegen die Ukraine.
Mit Verweis auf die GGG will das Sozialamt auf die 1,34€ eine Erhöhung von 10 Cent – also auf 1,44 – vornehmen. Die 10 Cent berücksichtigen aber nur die von der GGG eingeschätzte Kostenerhöhung für das Jahr 2022. Auch da nur mit Stand Januar 2022. Die Kostensteigerung 2021 ist da nicht enthalten.
Nun ist für jede Vorlage irgendwann mal Redaktionsschluss. Das verstehe ich. Dass aber an der Vorlage, die am 7. Dezember erstmals in ihren Grundzügen der aus Stadträten bestehenden Arbeitsgruppe vorgestellt wurde, nicht grundsätzlich bei den Heizkosten und den kalten Betriebskosten signifikant nachgebessert wurde, ist in meinen Augen entweder Ignoranz oder mangelnde Empathie oder ein völlig verqueres Bild der Verwaltung von den Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind.
Das Sozialamt argumentiert, dass es seit 1.März 2020 eine Bundesverordnung gibt, nach der pandemiebedingt – die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und damit auch für Heizung ohne Prüfung gezahlt werden. Stimmt. Nur als man die neue Richtlinie in Umlauf gebracht hat, war klar, dass die Verordnung zum 31. März 2022 ausläuft. Die KdU- Richtlinie gilt aber erst ab 1.Mai.
Nun soll lt. Bundesregierung die Verordnung bis zum 31.12.2022 verlängert werden.
Wir beschließen aber heute eine Richtlinie die bis zum 30.4.2024 gelten soll. Also der Verweis auf die Bundesverordnung mag aktuell vielleicht richtig sein – Und ab 1.1.2023? Was gilt da?
Argumente von Stadträten lauten aktuell, das Sozialamt würde jeden Einzelfall und meist im Interesse der Betroffenen prüfen. Mag sein; ich kann nicht das Gegenteil beweisen.
Stutzig macht mich aber die Verkündung des aktuellen Bundesfinanzministers – der für soziale Wohltaten nicht gerade bekannt ist – dass er jetzt auch die Hartz4-Empfänger mit einem Energiegeld beglücken will. Warum? Wenn die Anspruchsberechtigten schon jetzt die tatsächlichen Kosten ohne Prüfung der Angemessenheit seit 1. März 2020 vom Amt erhalten; wieso legt der Bundesfinanzminister da noch was oben drauf. Was stimmt denn eigentlich? Hat der Lindner die Spendierhosen an oder sind die Aussagen des Sozialamtes zu hinterfragen?
Nur steht eine Tatsache unumstößlich fest – keine einzige Bedarfsgemeinschaft wird mit den 1,44 € bei einem Einpersonenhaushalt über die beiden Jahre kommen. Alle werden Anträge stellen müssen. Das ist so sicher, wie das Amen. Nimmt man die im März erreichte Inflationsrate von 7.3 % und setzt sie ins Verhältnis zu den 1,34 € aus dem Jahr 2020 müssten es schon jetzt 1,43 € sein – und zwar ohne die 10 Cent der GGG.
Die kräftigen Steigerungen der Abfallsgebühren, die wir in der letzten Stadtratssitzung beschlossen haben, kommen im Übrigen noch oben drauf. Jetzt will die Verwaltung laut Änderung der Verwaltung eine Änderung der Richtlinie zum 1.5.2023 vorlegen. Richtig, aber zu spät.
Nun kann man lange über Fristen, Geltungsdauer, Rückwirkung oder den Weihnachtsmann philosophieren. Was man aber bei dem Thema nicht machen darf, ist, die psychologische Wirkung unseres Beschlusses bei den Betroffenen zu übersehen.
Meine Fraktionsgemeinschaft hat lange überlegt, ob wir einen Änderungsantrag zur Erhöhung der Heizkostenpauschale einbringen sollten. Wir haben uns für den ihnen vorliegenden Antrag entschieden; d.h. die Verwaltung wird beauftragt, für die Heizkosten und die kalten Betriebskosten bis zum 31.10.2022 eine Neufassung der Richtlinie vorzulegen.
Letztes Wort zum Thema Deckungsquelle. Jahr für Jahr wird die Position Kosten der Unterkunft immer unterschritten und zwar mit bis zu 4 Mio €. Da erübrigt sich eine Deckungsquelle.