Aus dem Stadtrat vom 12. März: Haushaltsrede

Wenn ich richtig gezählt habe, ist es heute der 12. Haushalt, über den ich mit abzustimmen habe. Und jeder Haushalt war immer eine Herausforderung. Zu keiner Zeit konnten alle – teils berechtigten – Forderungen und Wünsche der Stadtgesellschaft erfüllt werden. Nie war zu viel Geld da. Viele, die schon länger im Stadtrat sitzen, werden sich noch an das EKKO erinnern – ein Sparprogramm, welches uns durch Rödel und Partner auf Betreiben der Landesdirektion vorgegeben wurde.

Doch der vorliegende Haushalt für das laufende Jahr und für 2026 toppt alles. Prognostiziert werden von der Verwaltung kumuliert im Finanzhaushalt rund 203 Millionen Euro Verlust, sofern wir den Sparvorschlägen bzw. den Erhöhungen bei bestimmten Steuern und Entgelten nicht oder nur teilweise zustimmen. Und die Landesdirektion hat oder soll bereits die Daumenschrauben gezeigt haben, die sie anlegen will, wenn wir als Stadtrat nicht freiwillig konsolidieren. Auch ein Bubenstück von kommunaler Selbstverwaltung.

Eines möchte ich gleich zu Beginn betonen: Das Defizitproblem ist kein Chemnitzer Problem. Wir haben in Chemnitz nicht über unsere Verhältnisse gelebt und auch die Einnahmen sind stabil bzw. sind über die letzten Jahre sogar gestiegen. Das Problem liegt woanders. Der sächsische Städte- und Gemeindetag rechnet für 2024 mit gut einer Milliarde Defizit in den Landkreisen und Kommunen. Damit wird deutlich, dass die Verantwortung für diese Entwicklung der Bund und das Land trägt. Wer den Kommunen immer mehr Aufgaben auflastet, aber dafür keine oder nur unzureichende Finanzierung bereitstellt, der ist verantwortlich, dass das zivilgesellschaftliche Leben kaputtgespart werden muss.

Ich möchte hier nur ein paar Zahlen exemplarisch nennen:

  • Bildungsticket: 5,28 Millionen Euro Gesamtkosten 2024, wir haben aber nur 2,72 Millionen Euro erstattet bekommen. Differenz: 2,56 Millionen Euro, was wir aus der eigenen Tasche bezahlen müssen.
  • Umsetzung Grundsteuerreformgesetz: Mehraufwand im Personal circa 240.000 Euro pro Jahr. Erstattung von Bund und Land: 0,0
  • Umsetzung Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, damit verbunden Erweiterung/Ausweitung der Hilfen, damit mehr Fälle: Mehrkosten für die Stadt rund 875.000 Euro. Zusätzliche Mittel dafür haben wir nicht bekommen.

Wir können nur hoffen, dass die neuen Regierungen in Bund und Land die jahrelangen Hilfeschreie aus den Kommunen endlich ernst nehmen. Aber aktuell hilft uns das nicht weiter für die heutige Abstimmung.

Der vorliegende Doppelhaushalt – mit oder ohne Kürzungen – ist ein Haushalt des Pessimismus. Ich bin seit 16 Jahren Stadträtin – in 16 Jahren wurde meist ein negatives Jahresergebnis geplant. Tatsache aber ist, dass es noch kein Jahr in dieser Zeit gegeben hat, das wirklich einem Verlust ausgewiesen hat und zwar auch im zahlungswirksamen Ergebnis. Ausnahme bildete erstmalig das Jahr 2023, das mit einem Verlust von rund 15 Millionen im bereinigten Ergebnis abgeschlossen wurde. Und jedes Mal wurde von der Verwaltung und unterschiedlichen Kämmerern ein tiefrotes Minus vorhergesagt. Ich gebe zu, ein Kämmerer, der nicht klagt, ist ein schlechter Kämmerer. Und ein Stadtrat, der die Warnungen völlig ignorieren würde, wäre es auch. Und trotzdem. Irgendwann können wir als Stadträt:innen das nicht mehr ausreichend nach außen kommunizieren, dass wir Einrichtungen schließen und Projekte zusammenstreichen sollen, wenn es ein Jahr später immer wieder heißt „Ach, war doch nicht alles so schlimm.“

Apropos schlimm: Kommen wir zu einem nächsten wichtigen Thema des Haushaltes – dem städtischen Personal. Mit 309 bzw. 316 Millionen Euro der größte Ausgabenblock. Dass man da gern ein paar Millionen einsparen möchte, kann man zunächst nicht in Abrede stellen. Wir alle haben aber vergangene Woche den offenen Brief des Personalrats erhalten und kennen daher die angesprochenen Auswirkungen des geplanten Personalabbaus. Dazu noch ein paar Fakten:

  • Wartezeit bei der Bearbeitung von Wohngeldanträgen 105 Tage.
  • Wartezeit bis zum Bescheid eines Antrages auf Hilfe zur Pflege 9 Monate.
  • Wartezeit bis zum Elterngeldbescheid 105 Tage.
  • Wartezeit auf einen Termin bei der Fahrerlaubnisbehörde bis zu 13 Wochen.
  • Wartezeit für einen Termin bei der Meldebehörde 42–49 Tage.
  • Unbesetzte Stellen im Bürgeramt von 3–16 Monaten.
  • In manchen Ämtern bis zu 60 Überlastungsanzeigen pro Jahr.
  • Keine personelle Abdeckung der neuen Aufgaben bzgl. der novellierten Trinkwasserverordnung.
  • Zu wenig Mitarbeiter:innen um die beschlossene Digitale Agenda fristgemäß umzusetzen.
  • Und das Stadtarchiv hinkt auch bei der Einführung der E‑Akte aufgrund von zu wenig Personal hinterher und bräuchte hier mehr Unterstützung.

Ich könnte diese Liste noch ewig fortsetzen. Aber schon die paar Ausführungen zeigen, dass unsere Personaldecke bereits jetzt schon viel zu kurz ist und der Tisch an allen Ecken und Enden hervorschaut. Das ist Personalpolitik mit der Abrissbirne bzw. steuern wir hier auch sehenden Auges auf eine Dienstleistungswüste zu, die an Stellen wie Hilfe zum Lebensunterhalt auch für Menschen essentiell sind. Leidtragenden sind die Beschäftigten und die Bürger:innen da draußen. Daher stimmen wir dieser Maßnahme in der Konsolidierungsliste nicht zu.

Wir möchten auch nochmal betonen, dass die so genannten freiwilligen Leistungen enorm wichtig sind. Der Begriff der Freiwilligkeit ist ja auch ein wenig irreführend. Bspw. sind Kinder- und Jugendeinrichtungen keineswegs eine freiwillige Leistung, wie es immer wieder betont wird. Das SGB VIII schreibt diese vor. Auch Schwimmbäder braucht es zur Absicherung des Schulschwimmens. Und bspw. auch unser Theater ist eine wichtige Bildungsstätte. All diese Angebote im Sport‑, Kultur‑, Bildungs- und Sozialbereich sind doch auch der Kitt unserer Gesellschaft und halten diese zusammen. Daher brauchen wir diese.

Apropos Kultur: Wir sind Kulturhauptstadt und Theater der Welt. Den Kulturschaffenden in unserer Stadt, die teilweise schon jahrzehntelang kulturelle Angebote für die Chemnitzer:innen auf die Beine stellen, dürfen wir jetzt nicht hängen lassen. Denn diese sind teilweise in ihrer Existenz bedroht. Die geplanten Kürzungen im Kulturbereich gefährden die Vielfalt unserer kulturellen Landschaft. Kleine und freie Träger, aber auch etablierte Institutionen stehen vor großen Herausforderungen. Projekte, die Chemnitz über Jahre geprägt haben, drohen wegzubrechen. Diese Kürzungen treffen nicht nur die Kulturschaffenden selbst, sondern auch die Chemnitzerinnen und Chemnitzer, die von einem vielfältigen kulturellen Angebot profitieren. Kultur ist ein Investitionsfeld, kein reiner Kostenfaktor. Studien zeigen, dass jeder investierte Euro in den Kulturbereich eine positive wirtschaftliche Wirkung hat – durch Tourismus, Gastronomie, Belebung der Innenstadt und Ansiedlung von Fachkräften. Der Zugang zu Kultur und Freizeitangeboten darf nicht zum Luxusgut werden. Gerade für Familien, Kinder und finanziell schwächere Bürgerinnen und Bürger sind diese Angebote ein unverzichtbarer Bestandteil des sozialen Lebens und gesellschaftlicher Teilhabe. Das sollten wir heute alle bei unseren Entscheidungen pro oder contra zu bestimmten Maßnahmen im Hinterkopf behalten.

Insgesamt bleiben viele der vorgeschlagenen Maßnahmen für uns als Linke weitestgehend untragbar. Die im sozialen Bereich massiv sind, können wir unmöglich mittragen. Aber wir wollen uns nicht vollkommen verwehren. Daher haben wir verschiedene Änderungsanträge eingebracht, die wir später noch genauer erläutern. Und wir wären auch dabei, unkonventionelle Vorschläge zu debattieren.

Der Kämmerer hat nachvollziehbar die mögliche Kreditaufnahme für Investitionen in Höhe von 25 Millionen dargelegt. Unsere Fraktion hat aber bspw. auch mehrfach auf die Möglichkeit des Bürgerkredites hingewiesen. Viele Städte machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, indem sie öffentlich ganz besondere Aufgaben über diese Form finanzieren. Das war bislang noch kein Thema. Aber das muss doch nicht so bleiben. Der Tierpark, der botanische Garten, das Schauspielhaus oder alles, was kommunal für den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert werden muss, könnte über so eine Form ermöglicht werden. Auch hier erwarten wir mehr Mut oder Kreativität der Verwaltung. Nichts ist schlimmer als die These „Das haben wir doch noch nie gemacht.“ Wenn selbst die CDU im Bund jetzt indirekt an der Schuldenbremse knabbert, sollten wir hier auch über Schatten springen können. Dann hätten wir vielleicht auch Geld für andere, dringende Maßnahmen wie bspw. die Sanierung des Anbaus an der Tereschkowa-Schule oder unsere Brücken und Sporthallen.

Wir wünschen uns für die folgenden Debatten ein hohes Maß an Vernunft und Fairness mit der Verwaltung als auch unter den Fraktionen. Am Ende müssen wir zu einem Haushaltsbeschluss kommen. Ansonsten droht Stillstand in unserer Stadt und damit der Tod vieler wichtiger Einrichtungen und Projekte. Und was einmal weg ist, kommt nicht wieder.

Ob meine Fraktion dem Haushalt heute Abend zustimmen wird, werden wir auf alle Fälle von den weiteren Beschlüssen, die heute noch gefasst werden, abhängig machen.